Nigelnagelneuer Schrott

Nigelnagelneuer Schrott

Billig, aber kaum zu gebrauchen. Schon gar nicht über längere Zeit.

Was kostet ein Velo? Sehr wenig, wenn man den Resultaten einer schnellen Google-Suche glauben will.

Für weniger als zweihundert Franken sind auf diversen Websites neue Velos erhältlich. Ob diese Velos ihren Preis überhaupt wert sind, ist jedoch längst nicht sicher.

199 Franken kostet ein Fixie Singlespeed von Totem bei Gonser. Exakt gleich viel blättert man bei Jumbo für ein Mountainbike der Marke California hin. Das ist, um es klar zu sagen, verdammt wenig. Aber kriegt man denn für das bisschen Geld auch ein halbwegs taugliches Velo? Nein, sagen diverse Fachleute unisono. Die Velos sehen zwar cool aus, aber unter der billigen Farbe verbergen sich noch billigere Komponenten (Bremsen, Schaltung etc). Und auf diese Komponenten kommt es eben an. Solch ein Billigvelo macht bestimmt viel Spass, so lange es problemlos fährt. Aber wehe, eine dieser billigen Komponenten gibt den Geist auf: Da lässt sich oft nicht mehr viel reparieren und es soll Fachhändler geben, die KundInnen mit billigen, im Online-Handel erstandenen Velos freundlich, aber bestimmt wegschicken.

Recht haben sie.

In Zeiten, da praktische jede und jeder mit einem Handy in der Tasche herumläuft, das mehrere hundert Franken kostet, sollte man meinen, die persönliche Sicherheit (ja, billige Velos können gefährlich werden, zum Beispiel wenn billige Felgen plötzlich den Geist aufgeben. Auch billige Bremsen sind nicht unbedingt ratsam.) und vor allem der Komfort der eigenen Mobilität sollte einem auch etwas wert sein. Wenigstens mehr als 200 Stutz.
Aber wie viel muss man denn ausgeben, damit man ein halbwegs vernünftiges Neuvelo erhält? Auf diese Frage gibt es zum Glück eine gute Antwort: Weniger als früher. Ja, auch bei den Velos kriegt man heute, genau gleich wie bei elektronischen Geräten, mehr für weniger Geld als noch vor einigen Jahren.

Urs Rosenbaum, Inhaber des Fachbüros für Fahrradthemen dynamot.ch und Verfasser diverser Marktstudien zum Thema, gibt folgende Richtgrössen an: Ein qualitiativ zufriedenstellendes Mountainbike gibt es ab ca. 600-700 Franken, für ein Citybike muss ein wenig mehr hingeblättert werden, da noch Schutzbleche, ein Gepäckträger und allenfalls Licht dazu kommen. Aber auch hier sollten 800 Franken reichen. Für ein vernünftiges E-Bike muss man mit ca. 2000 Franken rechnen.
Wem das alles zu viel ist, kann sich natürlich nigelnagelneuen Billigschrott kaufen. Nachhaltig ist das jedoch nicht. Spass macht es vielleicht auch nicht lange. Da lohnt es sich schon bald mal, auf eine Velobörse zu gehen. Da findet man viele Schnäppchen, die nicht nur günstig, sondern eben auch gut sind. Oder man geht in eines der vielen Velofachgeschäfte, die sich auf Occasionsvelos spezialisiert haben.

PS: Billigen Neuschrott nimmt Pro Velo an den Velobörsen gar nicht erst an. Drum finden Sie dort ganz bestimmt keine Totem-Velos.

PPS: Etwas mehr für ein Velo auszugeben, lohnt sich auch, wenn man es später wieder verkaufen will. Besonder qualitativ gute Occasions-Kindervelos lassen sich problemlos für gute Preise an einer Velobörse oder im Bekanntenkreis weiterverkaufen.

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Dave Durner

Ehem. Geschäftsführer bei Pro Velo Kanton Zürich, heute Projektleiter Velosicherheit Stadt Zürich

4 Comments

  1. Baumann Alain

    Nun, die Totem Fahrräder werden von der Goldenwheel Gruppe im chinesischen Tianjin hergestellt. Einige namhafte Marken lassen in den Werken vor allem ihre Kinderfahrräder herstellen. Dies weil das Preis-Leistungs-Verhältnis sehr gut ist. Die günstigen Preisstrukturen kommen einerseits daher, weil das durschnittliche Einkommen der Arbeiter in der Region tiefer ist, anderesseits aus dem Grund, weil Goldenwheel staatlich subventioniert ist und daher nicht zwingend gewinnorientiert produzieren muss. Natürlich ist es zu hinterfragen, ob man dringend staatlich geförderte Hersteller bei der Produktion berücksichtigen soll. Aber am Ende ist es doch so, dass der Endverbraucher mit seinem Budget entscheidet, zu welchem Preis er sein Produkt beziehen möchte. Im übrigen produziert Goldenwheel durchwegs auch hochwertigere Velos, welche dem Niveau von unserem Markt in Europa entsprechen. Hier gilt es aber wie überall bei der Fahrradproduktion, sehr genaue Qualitätsmerkmale vorzugeben. Chinesische Fahrradhersteller machen nämlich genau das, was man ihnen vorgibt. Nicht mehr. Aber auch nicht weniger.

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  2. Erich Rayser

    Anderes Beispiel – 2 Flyer Fahrräder gekauft für über 8’000.-. Dafür Swiss Premium-Qualität. Denkt man. Einer der beiden geht wegen Elektronikproblemen das vierte Mal in die Werkstatt. Bisher wurde alles einmal ausgetauscht. Bei beiden Rädern hatten wir innert 4 Jahren knapp 10 “Plattfüsse”, obwohl die Velos in der Stadt bewegt werden u.a. Billigstschläuche von Werk aus montiert. Ein Kollege von mir hat sich ein brandneues Tour de Suisse Velo gekauft > 2’000 CHF. Innert kürzester Zeit mussten bremsen und Schaltung repariert werden, und nach ein paar Jahren das Trettlager ausgetauscht werden. In meiner Garage, ein Klappvelo von Gonser – trotz hartem Einsatz und draussen parkiert, das billige 159.- Velo hält und hält und hält. Daher die Bitte das Thema Preis mit einem rationalen Test und Statistiken hinterlegen, denn einem Leidgeplagten Qualitätsmarkenkäufer kommt sonst einem die Galle hoch.

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    • Thomas Nössu

      Auch ein Beispiel:
      Ich und meine Partnerin hatten vor zwei Jahren 2 City-Bikes von Totem gekauft (Lindsay). Wir waren uns nicht sicher, ob wir dann auch Spass am Velofahren haben werden – deshalb halt mal etwas günstiges kaufen. In diesen 2 Jahren haben wir beide ca. 5000 km! gemacht… und ohne Probleme. Das Problem ist natürlich schon, dass die Velomechaniker lieber eigene Velos verkaufen und auch nur diese Reparieren wollen. Da hatten wir Glück – es gibt auch Velomechaniker, welche günstige Velos reparieren und einem zur Hilfe stehen.
      Eine bekannte kaufte sich bei einem Fachhändler ein teures E-Bike der Marke Flyer. Schon bald gab es Probleme mit dem Antrieb und sie musste und wollte das Velo zurückgeben. Es gäbe da noch andere Velofahrer, welche nicht immer nur mit dem teuersten Fahrrad zufrieden sind 🙂

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  3. Florian Boetsch

    Ich habe dazu ein Beispiel anderer Art:
    Ich brauchte während des Studiums ein dritvelo für den Weg Bahnhof-Campus.
    Aus kostengründen habe ich mich damals für ein Totem Singlespeed entschieden.
    Der Rahmen und vor allem die Gabel waren von anfang an dermassen verzogen, dass die Räder nicht in einer Spur liefen und das Vorderrad nichtmal senkrecht stand, also blos nie den Lenker loslassen!
    Der rote Sattel war schon nach drei Fahrten weiss, zum Glück ging die Farbe ähnlich leicht wider von der Hose weg.
    Sowohl Tretlager als auch der Freilauf haben nach kurzer Zeit beunruhigende Geräusche von sich gegeben. Und die Bremsen sind wohl zum verlangsamen, aber nicht zum Bremsen entwickelt worden.
    Alles in allem so ungenügend und unsicher, dass ich mich geschämt hätte, das Velo nach einem Jahr auch nur für 20.- wieder zu verkaufen.
    Kauft euch lieber ein gutes gebrauchtes Velo wenn ihr nicht viel ausgeben wollt.

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