Der Range Rover und ich
Autor und Kabarettist Bänz Friedli über das Velofahren in Zürich.
Darf ich vorausschicken, dass ich mich im Stadtverkehr meist regelkonform verhalte?
Sie ist mir fremd, die Selbstgerechtigkeit vieler Velofahrender, sie verkehrten schliesslich umweltfreundlich und dürften sich daher alles erlauben. Ich fräse nicht achtlos durch Fussgängerzonen. Und sollte ich der einzige Velofahrer meiner Stadt sein, der bei Rot stehen bleibt, ich tue es. Auch am Samstag, als ich brav Zeichen gab, einspurte und erst losfuhr, als es mir gestattet war.
Schon hupt es hinter mir mörderisch laut, ein dunkelblauer Range Rover schneidet mir – auf dem Velostreifen! – den Weg ab, braust davon. Das will ich mir irgendwie nicht gefallen lassen. An der nächsten Ampel klopfe ich an die Scheibe des Range Rovers, frage den Fahrer, weshalb er gehupt habe, ich hätte mich doch korrekt verhalten. «S nöchscht Mal liihsch drunder», raunt er, was sich wie eine Drohung anhört. Worauf ich kurz die Fassung verliere. Aber den Schlämperlig mit W hätte ich ihm nicht nachrufen dürfen; in meinem Alter sollte man sich im Griff haben.
Denn im Grunde war keiner von uns das Problem. Sondern die Velopolitik unserer Stadt. Auto-, Velo- und Fussgängerverkehr sind viel zu wenig entflechtet. Die wenigen Velostreifen sind absurd schmal und enden oft einfach im Nichts – man muss höllisch aufpassen, nicht urplötzlich gegen eine Betonwand oder in ein parkiertes Auto zu fahren. Und woher hätte besagter Range-Rover-Pilot wissen sollen, dass die Velospur an der Ecke Sihlstrasse/Löwenstrasse tatsächlich links und nicht rechts der Autospur verläuft? Womöglich erschrak er einfach. Wäre ich an seiner Stelle nicht ebenso erschrocken?
Man müsste sich manchmal in die anderen hineinversetzen. Wickelt ein junger Vater im Zugabteil sein Kind, gehöre ich zu denjenigen, welche die Nase rümpfen – der soll das, wenn schon, bitte im Familienwaggon tun! Früher war ich selber mal dieser junge Vater. Und letzte Woche begannen in aller Herrgottsfrüh Motorsägen und Bulldozer zu lärmen, gefühlte drei Meter neben meinem Ohr, das zu dieser Zeit noch auf dem Kissen ruhte. Auf dem benachbarten Grundstück wurden Bäume gefällt, zwei neue Gebäude sollen hochgezogen werden. Ob des Gedankens, welche Störung mir über die nächsten Monate droht, war ich den ganzen Tag verstimmt. Am späten Abend fiel mir ein, dass es all denen, die schon hier wohnten, ehe unsere Siedlung vor sechzehn Jahren gebaut wurde, genauso ergangen sein muss.
Deshalb, lieber Range-Rover-Fahrer, nehme ich den «Wichser» zurück. Wirklich, ich wollte das nicht sagen! Ich wollte es nur denken.
Aus dem neuen Buch «Der Wal im See – Geschichten von unterwegs», Knapp Verlag, 2020.
Autor und Kabarettist Bänz Friedli lebt in Zürich und ist Mitglied des Initiativkomitees «Velorouten-Initiative».
Lieber Bänz, ich finde das W-Wort nicht so schlimm, wenn dir jemand mit 2.5 Tonnen den Weg abschneidet und dir danach droht, dich umzufahren. Das ist verbale und physische Gewalt. Wenn ich so etwas erlebe, bin ich die nächsten zwei Stunden total geschafft. Es geht nicht – wie in den nachfolgenden Beispielen – darum, dass ich mich durch andere gestört fühle. Sondern jemand sagt dir klar, dass du hier nicht hingehörst, wenn er die Strasse benützt. Und ja, eine gute Verkehrspolitik würde dafür sorgen, dass es nicht oder seltener zu solchen Situationen kommt. Aber das rechtfertigt seine aggressive Machtdemonstration in keiner Weise.