Warum die Strasse immer noch dem Auto gehört

Warum die Strasse immer noch dem Auto gehört

Cycling Science – Wissenschaft für Velofahrende.

Die Sprache definiert unser Denken und Handeln. Wie das funktioniert, zeigt sich etwa am Beispiel des Begriffs «Verkehr» oder «Strasse».

Es ist ja nicht so kompliziert. Der Auto­verkehr emittiert zu viel CO2, beansprucht zu viel Fläche und kostet zu viele Menschenleben. Die Menschen in den Städten wollen das nicht mehr, sie wollen mehr Platz fürs Velo und unterstützen jede politische Vorlage, die das verspricht.

Also: Warum zum Teufel ist unsere Veloinfrastruktur noch immer nicht besser als ein schlechter Witz? Eine mögliche Antwort liefert eine aktuelle Studie zweier Forscher des Trinity College in Dublin (R. Egan et al.). Ihre Analyse von 150 Stellungnahmen zu geplanten Fuss- und Velowegen zeigt: Der Diskurs über aktive Mobilität wird von einer autozentrierten Sprache dominiert, die Alternativen zum Auto so gut wie undenkbar macht.

Was ist Verkehr?

Schlüsselbegriff Nr. 1 in den untersuchten Texten: Verkehr. Verkehrsfluss, Verkehrsvolumen, Verkehrschaos. Damit war fast immer Autoverkehr gemeint. Eine Strasse, auf welcher der motorisierte Durchgangsverkehr untersagt werden soll, wurde stets als «für den Verkehr gesperrte Strasse» bezeichnet – obwohl fast alle Arten von Verkehr erlaubt sein werden, nur eben der motorisierte Durchgangsverkehr nicht. Zum Beispiel: «Der Verkehr von und nach Richmond wird durch die Fahrradströme in zwei Richtungen erheblich behindert.»

Was ist eine Strasse?

Schlüsselbegriff Nr. 2: Strasse. Damit war fast immer eine Fläche für (Auto-)Verkehr gemeint. Strassen für Veloverkehr gab es in den Texten nicht, nur Routen, Radwege oder Radspuren. «Der Radweg ist 2,9 Meter breit. So viel Platz kann man der Strasse nicht wegnehmen […].»

Das Überraschende ist nicht die Schlagseite dieser Begriffe, sondern wie eng sie miteinander verzahnt sind: In vielen Köpfen sind Strassen ausschliesslich für Verkehr bestimmt. Und weil die Velofahrenden sprachlich nicht zum Verkehr gehören, haben sie auch keinen Anspruch auf den Strassenraum. Damit beeinflusst der Diskurs selbst, was in den Köpfen geschieht. 

Wir unterschätzen die Macht der Sprache über unser Denken und Handeln noch immer.

Felix Schindler schreibt über Mobilität und Stadtentwicklung, schmeisst die Hälfte des Haushalts und kümmert sich um seine Zwillinge.

Wer hat die Macht?

Dieses Phänomen beschränkt sich längst nicht nur auf den politischen Diskurs, es ist auch in den Medien, der Verkehrsplanung und der Verwaltung allgegenwärtig. Selbst der Duden definiert die Strasse als «befestigter Verkehrsweg für Fahrzeuge». Richtig, das Auto wird nicht explizit erwähnt, aber wer denkt bei dieser Definition schon an «Raum für die vielfältigen Mobilitätsbedürfnisse der ganzen Gesellschaft»? Vielleicht gehört die Strasse auch deshalb vorwiegend dem Auto, weil wir die Macht der Sprache über unser Denken und Handeln noch immer unterschätzen.

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