Lange Gesichter an der Langstrasse
Warum wir 40 Jahre auf eine velofreundliche Langstrasse warten mussten.
2003 reichte Pro Velo eine Petition für eine velofreundliche Langstrasse mit 12 000 Unterschriften ein. 20 Jahre später dürfen Velofahrende endlich legal auf dieser wichtigen Verbindungsstrecke fahren.
Wie man die Langstrasse vom motorisierten Individualverkehr entlasten könnte, fragte man sich schon vor 40 Jahren. Als Folge wurden ein paar Bäume gefällt. Aber dieses Opfer half dem Velo nichts. Es kamen bloss mehr Autos. 2003 verlor Pro Velo die Geduld, lancierte eine Petition für eine velofreundliche Langstrasse und sammelte 12 000 Unterschriften.
2023 schliesslich eröffnet Stadträtin Simone Brander die «Autoarme Langstrasse». Eine neue Verkehrsführung und Tempo 30 sollen die Situation für Velofahrende verbessern. Die Langstrasse darf neu tagsüber nur von Velofahrenden, Bussen und Taxis befahren werden. Aber Achtung: Das Fahrverbot beschränkt sich auf den Block Brauer-/Dienerstrasse und gilt nur von 5.30 bis 22 Uhr. In der Nacht dürfen alle Verkehrsteilnehmenden die Langstrasse in beide Richtungen befahren. Was wir davon halten, erfährst du in unserem Kommentar «Wird das fürs Velo gut an der Langstrasse?».
Wer es genauer wissen will mit der unglaublich langen Geschichte der velofreundlichen Langstrasse, darf sich unten durch die letzten 40 Jahre lesen – ein Paradebeispiel für die Sanierung einer Strasse, bei der alle mitreden wollen.
Die unglaublich lange Geschichte der Langstrasse
1983:
Abstimmung um die Verlängerung der Kanonengasse. Pro-Argument des Stadtrates sowie der bürgerlichen Parteien: «Eine Entlastung der Langstrasse vom Individualverkehr, Vorteile für den Fussverkerkehr und die Schaffung ruhiger Wohngebiete werden möglich». Die Vorlage wird knapp angenommen. Die Bäume beim letzten Block, zwischen Militär- und Lagerstrasse werden gefällt, um die Kanonengasse in die Lagerstrasse münden zu lassen.
1984:
Annahme der Volksinitiative zur Förderung des Veloverkehrs.
1989:
Die Pläne für den Umbau der Langstrasse werden aufgelegt. Die Pro Velo erhebt Einsprache, weil kein einziges Versprechen aus dem Jahre 1983 eingelöst wird. Im Gegenteil, die Fahrbahn wird schmaler und der Platz für Velos knapper. Fünf Jahre lang passiert nichts.
1994:
Das Bauprojekt wird veröffentlicht. Um Verzögerungen durch Rekurse zu umgehen, verzichtet der Stadtrat auf eine Ausschreibung eines neuen Verkehrsregimes. Dagegen wehrt sich die Pro Velo Zürich. Auszug aus einem Brief an Stadträtin Kathrin Martelli: «… der heutige Zustand muss als sehr unbefriedigend bezeichnet werden.»
1996:
Die Bauarbeiten werden abgeschlossen. Die Langstrasse ist für den Veloverkehr nicht mehr durchgehend passierbar: VelofahrerInnen welche vom Kreis 5 Richtung Helvetiaplatz wollen, werden entweder auf gefährliche und weite Umwege gezwungen oder müssen illegal durch die Langstrasse fahren.
1998:
Der Gemeinderat verabschiedet den regionalen Richtplan. Die Langstrasse soll autoarm werden. Für den Durchgangsverkehr sind die Kanonengasse und die Feldstrasse vorgesehen.
1999:
Serie von Workshops im Quartier. Die Teilnahme der Pro Velo Zürich ist gemäss dem Leiter, einem alt-Gemeinderat, «unerwünscht».
1999:
An der Velodemo fordert die Pro Velo Kanton Zürich die Umsetzung des Richtplanes.
2003:
Pro Velo Präsident Daniel Leupi reicht im Gemeinderat eine Motion für eine velofreundliche Langstrasse ein, die der Gemeinderat an den Stadtrat überweist. Parallel lanciert die Pro Velo Kanton Zürich eine entsprechende Petition. 12’000 Velofahrende unterschreiben. Damit ist die alte Forderung wieder auf dem Tisch. Die Stadt muss also etwas machen.
2005 bis 2017:
Ein Plan wird ausgearbeitet. Er sieht vor, dass die Langstrasse während des Tages für den motorisierten Durchgangsverkehr gesperrt wird und je eine Spur pro Richtung für Bus, Taxi, Velo und Anlieferung befahrbar ist. Unzählige Einsprachen gegen das Verkehrsregime werden abgewiesen.
Umgesetzt wird der rechtsgültige Plan bis 2016 nicht, weil die Umfahrungsrouten noch nicht fertig sind.
2018:
Die Lagerstrasse wird umgebaut und in der Kanonengasse werden Velostreifen zugunsten von mehr Autospuren abgefräst. Damit sind die vom Kanton gestellten Bedingungen für die velofreundliche Langstrasse erfüllt.
Kleine Umbauten der Langstrasse und ein neues Verkehrsregime werden vom Tiefbauamt und der Dienstabteilung Verkehr ausgeschrieben. Man weiss nicht recht, wieso, schliesslich wurde das Verkehrsregime bereits einmal veröffentlicht. Zu hoffen bleibt, dass nicht zu viele Einsprachen eingehen werden und diese das Projekt nicht noch weiter verzögern.
2019:
Die neu umgebaute Kreuzung an der Lang- und der Lagerstrasse ist ungenügend und entspricht nicht den ausgeschriebenen Plänen: Wer aus der Langstrassenunterführung kommt und vor dem 25-hours-Hotel nach links in die Lagerstrasse abbiegen will, findet zwar Haifischzähne auf dem Boden, die «Kein Vortritt» signalisieren. Geradeaus liegt dann aber eine Aufstellfläche für die Velofahrenden, die aus der Lagerstrasse geradeaus in die Neufrankengasse wollen. Und dahinter folge eine zehn Zentimeter hohe Verkehrsinsel. Wer keine wartenden VelofaherInnen und auch keine Verkehrsinsel überfahren will, muss über den Fussgängerstreifen fahren – und kommt dort den FussgängerInnen in die Quere.
In den ursprünglichen Plänen war das noch nicht so gewesen: Da gab es extra eine Furt für Velos. Die musste weg, weil man keine Velofahrenden gleichzeitig mit Autos, die rechts aus der Langstrasse in die Lagerstrasse einbiegen, fahren lassen darf. Pro Velo Zürich hat Einsprache erhoben, weil die Stadt sich nicht an die ausgeschriebenen Pläne gehalten hat.
2020:
Der Einsprach wird stattgegeben. Rund um die Langstrassenunterführung muss nochmals umgebaut werden. In der Hauptunterführung wird neu explizit Platz fürs Velo geschaffen. Damit steht Velofahrenden neben den beiden Nebentunneln, die sie mit den Zufussgehenden teilen, eine weitere Option zur Verfügung. Dazu gehören neben Velostreifen neben der Autofahrbahn natürlich auch Velowartezonen an den beiden Kreuzungen nach der Unterführung. Am Knoten Lager-/Langstrasse werden die Zufahrt von der Unterführung sowie die Insel umgestaltet. Dasselbe gilt für die Ecke Langstrasse/Neufrankengasse.
2021:
Der Stadtrat beschliesst: Ab Sommer 2023 soll die Zürcher Langstrasse zwischen der Militär-/Schöneggstrasse und der Brauerstrasse tagsüber für den motorisierten Individualverkehr gesperrt werden. Dazu soll die separate Busspur aufgehoben und so die Durchfahrt für Velos, Busse und Taxis in beide Richtungen ermöglicht werden.
2023:
Mit einer neuen Verkehrsführung und Tempo 30 hat die Stadt die Situation für die Velofahrenden und den öffentlichen Verkehr an der Langstrasse verbessert. Um den Durchgangsverkehr zu reduzieren, dürfen ab dem 27. September 2023 tagsüber nur noch Velofahrende, Busse und Taxis die Langstrasse in beide Richtungen befahren. Für den Auto- und Motorradverkehr gilt tagsüber zwischen der Brauerstrasse und der Dienerstrasse ein Fahrverbot.
Aktualisiert 11/2023
Schon mal überlegt, wo die grosse Mehrheit des Verkehrs hin soll, wenn nur noch Velos auf der Langstrasse fahren dürfen?! Ist ja weit und breit die einzige Durchgangsstrasse unter den Zug-Schienen durch…
Jawohl, schon mal überlegt: Durch die Kanonengasse und die Feldstrasse. So sehen es die rechtsgültigen Pläne vor.
Im zuge der Langstrassenaufwertung wundert es schon dass man nie etwas gemacht hat. Ich kann es mir nur so erklären das man etwas verruchtes beibehalten wollte damit das gebiet nicht vollends zum hippen trendquartier wird und dann wieder investiert wird bis sich langjährige anwohner keine schäbige Wohnung mehr leisten können 😉
Für den Veloverkehr in der Stadt Zürich ist diese Massnahme wirklich sehr wertvoll. Bin sehr gespannt auf das Ergebnis. Ich kann natürlich verstehen, dass Autofahrer nicht besonders glücklich darüber sind, eine Strasse “zu verlieren”. Doch ich denke, im Falle der Langstrasse ist dies die beste Lösung. Die Zukunft wird zeigen, wie es sich auf den Verkehr auswirken wird.
In Genf wurde am 18. Oktober 2019 der Klimanotstand ausgerufen. Wann wird endlich der Klimanotstand in der grössten Schweizerstadt ausgerufen? Es wäre höchste Zeit!!